„Mit Kopf und Herz stolpern“
Interview mit dem Künstler Gunter Demnig über seine Aktion „Stolpersteine“
Ihre ersten Stolpersteine verlegten Sie 1996 noch illegal. Inzwischen sind die Steine in Deutschland fast zum Selbstläufer geworden. Wie kamen Sie auf die Idee?
1990 habe ich zur Erinnerung an die Deportation von tausend Roma und Sinti im Mai 1940 in Köln eine 16km lange Farbspur gelegt: von ihren Kölner Wohnhäusern bis zur Deutzer Messe, einem Außenlager des KZ Buchenwald. Diese Deportation war so etwas wie eine Generalprobe für die späteren Deportationen, denn um tausend Menschen auf einmal wegzubringen, muss ja die Logistik stimmen.
Diese Farbspur war irgendwann weggewaschen. Deshalb habe ich sie an einigen Punkten in Messing dauerverlegt. Während ich in der Kölner Südstadt so am Arbeiten bin, kommt eine ältere Dame, eine Zeitzeugin, dazu und sagt zu mir: „Guter Mann, schön was sie machen, aber hier in unserem Viertel haben niemals Zigeuner gelebt.“ Ich habe ihr meine Unterlagen gezeigt und dieser Frau ist vor Erstaunen fast das Kinn runter gefallen. Und da kam mir die Erkenntnis, dass diese Menschen ja gut nachbarschaftlich zusammen gelebt haben.
Später hat mir auch die jüdische Gemeinde bestätigt: „Bis 1933 haben wir in unseren Häusern mit den Christen unsere Feste gemeinsam gefeiert“. Das war für mich der Auslöser, die Namen dieser Menschen wieder zurück zu bringen statt der Nummern, die sie im KZ hatten.
Inzwischen gibt es ja Ihre Stolpersteine auch in Österreich, Tschechien und Ungarn. Von wem geht dort das Interesse an Ihrer Aktion aus? Sind es Verwandte der Opfer oder Menschen vor Ort?
Das ist unterschiedlich. In Österreich war es ein Historiker, der damit angefangen hat, und jetzt ist die Aktion ein Selbstläufer geworden: es sind Gruppen vor Ort, die genau wie in Deutschland, diese Erinnerung wach halten wollen.
In Ungarn ging die Initiative zunächst von der Kulturstiftung bipolar aus, aber dort ebenfalls kommt das Interesse jetzt wirklich aus den Orten selber.
Gibt es denn auch Reaktionen aus Frankreich?
Langsam läuft das Projekt auch dort an. In Paris, Toulouse und Lyon sollen Steine für ermordete Sportler verlegt werden. Aber es ist durchaus ein heikles Thema.
Ist es nicht naheliegend, dass wir Deutschen ein anderes Verhältnis zu Ihrer Idee haben als die Menschen in den ehemals besetzten Ländern?
Na ja, im Fall Frankreich muss man sagen, dass ohne die französische Gendarmerie das Ganze nicht gelaufen wäre. Mitschuld - kann man ja sagen - ist dabei. Und darüber wird noch nicht so offen gesprochen wie in Deutschland.
Stolpersteine sind auch Steine des Anstoßes. Wie reagieren Sie auf Argumente wie „Man tritt das Andenken der Opfer mit Füßen“ oder „Ein Stolperstein vor meinem Haus mindert den Wert des Hauses“?
Solch einen Fall hatten wir hier in Köln. Ausgerechnet ein Rechtsanwalt hat vor dem Landgericht geklagt. Der Richter hat ihn nur angeschaut und ihn verständnislos gefragt, was er überhaupt will. Bei den Stolpersteinen handelt es sich ja immerhin um ein Geschenk der Bürger an ihre Kommune.
Und zu dem Argument, „man trampele auf den Menschen herum wie damals die Nazis“ lässt sich sagen: Die Nazis haben ja nicht herumgetrampelt, sie haben die Menschen schlicht und einfach ermordet. Das war ja härter als einfach nur herumtrampeln.
Ich muss zugeben, dass ich selbst erst ein paar Bedenken hatte, aber ich habe mir zur Sicherheit bei der jüdischen Gemeinde hier in Köln Rat geholt. Man ließ sich Zeit mit einer Antwort, aber dann wurde ich eingeladen und man sagte mir, dass es für mein Vorhaben vom Talmud her überhaupt kein Problem gibt, es sei ja kein Grabstein. „Aber machen müsst ihr das“, sagten sie mir.
Es ist ein Gedenkstein.
Ja und nicht mehr. Obwohl manche Angehörige es natürlich als Ersatzgrabstein sehen. Was mir gar nicht so lieb ist, aber dagegen kann ich nichts machen. Vielleicht eine der schönsten Definitionen für Stolpersteine kommt von einem Hauptschüler, der nach einer Veranstaltung von einem Reporter gefragt wurde: „Ja aber sag mal, ist das nicht gefährlich, Stolpersteine, da fällt man doch hin?“ Da antwortete er: „Nein, nein man stolpert nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen“.
Ja, das Spannende an Ihrem Projekt ist auch der Austausch mit den Menschen vor Ort. Lokale Arbeitsgruppen recherchieren die Opferdaten und kommen dann auf Sie zu, damit Sie die Stolpersteine verlegen. Geht das manchmal in eine Richtung, die Sie gar nicht so wollen, dass zum Beispiel mehr jüdische Opfer berücksichtigt werden und andere Verfolgte des Naziregimes etwas vergessen werden?
Nein, die Aktion „Stolpersteine“ ist inzwischen so publik, dass jeder Interessierte von vornherein weiß, dass das Projekt für alle Opfergruppen gedacht ist. Und die lokalen Initiativen geben sich dann wirklich Mühe, dass für alle Opfergruppen Steine verlegen zu lassen. Trotzdem werden natürlich die meisten Steine für jüdische Opfer gelegt, sie bilden nun mal die größte Opfergruppe.
Sie sind quasi ein Ein-Zwei- Personen-Unternehmen: Sie verlegen die Steine, Uta Franke kümmert sich um das Organisatorische. Warum ist es Ihnen so wichtig, alles selbst zu verlegen? Das lässt Ihnen u.U. gar keine Zeit mehr für andere künstlerische Aktivitäten?
Nun gut, damit kann ich mich abfinden. Die „Stolpersteine“ sind jetzt zu meinem Lebenswerk geworden und außerdem habe ich in meinem Leben ja schon sehr viel unterschiedliche Kunst gemacht.
Was bei den Stolpersteinen eben Spaß macht: Menschen kennen lernen, Menschen zusammenbringen, auch wenn es manchmal traurig ist, wenn Angehörige dazukommen. Aber es bleibt die Freude, dass so etwas überhaupt realisierbar ist in dieser Größenordnung und dass das Interesse von den Initiativgruppen so groß ist.
Gibt es denn eine Begegnung, die für Sie von besonderer Bedeutung war? Sie hatten bereits den Hauptschüler zitiert...
Ja, vielleicht die Begegnung mit einem Überlebenden aus England. Er erzählte, was er als 12jähriger erlebt hatte: „Ich durfte allein nach England fahren, das war ein Abenteuer für mich“. Warum Mutter und Großmutter heulten, das begriff er erst später. Und er hat dann etwas Wichtiges gesagt: „Diese zwei Stolpersteine sind keine Grabsteine, sie können es gar nicht sein. Die beiden sind in Auschwitz in Rauch aufgelöst. Aber für mich sind es Schlusssteine. Ich kann nach Hause fahren und ich kann wieder nach Deutschland zurückkommen.“ Und das sind die Punkte, wo ich weiß, warum ich all dies mache, auch wenn das Kreuz manchmal weh tut beim Verlegen.
Das Interview führte Angelika Schindler, Januar 2008
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